Der Angehörigenlotse – Modellprojekt der KatHO NRW Aachen

Als Irene M.* im Februar mit 51 Jahren einen Schlaganfall bekommt, gerät die Welt für sie und ihren Partner aus den Fugen. Gerd B.* erlebt die schlimmsten Wochen seines Lebens. Wird sie es schaffen, fragt er sich. Was bleibt an Schäden zurück? Irene M. realisiert nach und nach, was ihr geschehen ist. Sie wird auf der Stroke Unit, einer speziellen Station für Schlaganfallpatienten des Universitätsklinikums Aachen von Ärzten, Schwestern und Therapeuten intensiv betreut. Gerd B. fühlt sich wie ein hilfloser Zuschauer, überfordert und ratlos, welche Auswirkungen auf das gemeinsame Leben zu erwarten sind.

Es ist eine Entlastung als Miriam Floren ihn aufsucht. Die 32-Jährige Sozialarbeiterin arbeitet für das Modellprojekt „Der Angehörigenlotse“ der Katholischen Hochschule NRW Aachen. Dieses Projekt wird seit Ende 2012 in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Kliniken, wie z.B. dem UKA und dem Medizinischen Zentrum StädteRegion Aachen realisiert. Miriam Floren ist Ansprechpartnerin für Angehörige von Schlaganfallpatienten. „Gerade in den ersten Tagen nach einem Schlaganfall braucht die Familie Rat, Zuspruch und viele Informationen. Ein ärztliches Informationsgespräch ist häufig nicht genug“, weiß sie.

Bruch in der Betreuungskette

In der ersten Phase saugen die Betroffenen fast wie ein Schwamm alle Informationen auf, erlebt Miriam Floren immer wieder. Wenn der Patient in die Reha gehe, beruhige sich die Situation in der Familie ein wenig. „Turbulent wird es kurz vor Ende der Rehabilitationsphase. Dann wird den Angehörigen erst wirklich klar, wie Haushalt und Wohnsituation verändert werden müssen.“

Beim Wechsel in die eigenen vier Wände kommt es in der Betreuungskette häufig zum Bruch. Bisher war der Patient versorgt und betreut, Klinik und Reha griffen ineinander. Nun müssen er und seine Familie selbst die Therapeuten suchen, Finanzierungen klären, Behördengänge erledigen, einen Pflegedienst organisieren. Und Auseinandersetzungen in der Familie bewältigen. Die erwachsenen Kinder beispielsweise sehen die Situation viel realistischer als die Ehepartnerin, die ihren Mann unbedingt wieder daheim haben will und sich über die Arbeitsbelastungen nicht im Klaren ist.

Hilfe bei Mutlosigkeit

Miriam Floren kennt die „Schnittstellen-Dramatik“. Es ist eben nichts mehr wie vorher: Das Klo ist zu niedrig, die Dusche nicht behindertengerecht, die Pflege aufwändig, der Betroffene so ganz anders als vor dem Schlaganfall – und alle werden mutlos, manchmal sogar depressiv. „Meine Aufgabe ist es, ganz viel Mut zuzusprechen, bei der Organisation des neuen Alltags zu beraten, zu unterstützen, in Netzwerke zu vermitteln“, beschreibt die Sozialpädagogin Facetten ihres Arbeitsauftrags. 64 Familien betreut sie zurzeit, bei 19 davon ist das Ende der Begleitung absehbar, die meist zwischen sechs und acht Monaten dauert. Der „Angehörigenlotse“ trägt dazu bei, die Familie (wieder) handlungsfähig zu machen und Überforderungssituationen zu vermeiden. Die Auswertungen zeigen, dass das Angebot von den Angehörigen sehr gut angenommen und als außerordentlich hilfreich bewertet wird.

Dennoch ist ungewiss, ob und wie die Arbeit des „Angehörigenlotsen“ im Herbst 2015 weitergehen kann – dann nämlich läuft die finanzielle Förderung des Modellprojekts aus. „Im Moment versuchen wir Überzeugungsarbeit bei politischen Akteuren und Kostenträgern zu leisten“, berichtet Miriam Floren. „Die Angehörigen sind einfach zu wichtig, um an dieser Stelle Geld zu sparen!“

*Namen geändert

Das Modellprojekt „Der Angehörigenlotse“

„Der Angehörigenlotse“ ist ein Beratungs- und Unterstützungsangebot für pflegende Angehörige von Schlaganfallpatienten, Das wissenschaftlich begleitete Modellprojekt ist zunächst für die StädteRegion Aachen konzipiert und kann bei erfolgreicher Erprobung auf andere Versorgungsregionen ausgeweitet werden. Geleitet wird das Projekt von Professor Dr. Johannes Jungbauer, Katholische Hochschule NRW Aachen. Zu seinem Team gehören die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Miriam Floren, (Klinische Sozialarbeiterin) und Theresia Krieger (Gesundheitswissenschaftlerin). Finanziert wird das Projekt für drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Information und Kontakt: www.angehoerigenlotse.de

Weitere Informationen: Prof. Dr. Johannes Jungbauer,

Tel. 0241/ 6000 337, KatHO NRW Aachen, www.katho-nrw.de/aachen/ jungbauer@katho-nrw.de

Redaktion: Claudia Dechamps, Tel. 0241/ 46 32 74 75, info@claudia-dechamps.de

Projekt Der Angehörigenlotse: Miriam Floren, Theresia Krieger, Prof. Johannes Jungbauer, KatHO NRW Aachen (v.r.)                                                 Foto: KatHO